Vom 1.-5.4.25 fanden in Bremerhaven die deutschen Meisterschaften der Junioren (U17) im olympischen Boxen statt. Über 140 Boxerinnen und Boxer waren mit ihren Teams in die Hafenstadt gereist um sich im mit den Besten ihrer Gewichtsklasse zu messen. Charlotte Kienel, die schon im letzten Jahr für den Boxsportverein Olympia Vochem, nach Siegen bei der Bezirks- und der Landesmeisterschaft, den höchsten nationalen Titel erboxte, trat dieses Jahr in der 60kg Klasse an um ihren Titel zu verteidigen.


Letztes Jahr startete die heute 15 Jährige noch als „Underdog“. Mit der zarten Erfahrung aus nur 7 Boxkämpfen schlug sie damals unter anderem Sophia Illenser vom Landesverband Süd-West, mit 20 Kämpfen mehr.
Seit der deutschen Meisterschaft 2024 ist allerdings viel passiert: Charlotte bestritt in dem Jahr weitere 10 Wettkämpfe und wurde in den Nachwuchs-Nationalkader aufgenommen. Sogar international durfte sie schon erste Erfahrungen sammeln und belegte beim internationalen German Open Turnier, nach Siegen gegen Tschechien, Australien und England, den zweiten Platz.
Und so war sie dieses Jahr keineswegs Underdog, sondern eine der Favoritinnen. Zu diesen gehörten ebenso die bisher ungeschlagene Monika Abazaj aus dem Bayrischen Kader, sowie Joelle Heuer aus Sachsen-Anhalt, die ebenfalls Nationalkadersportlerin und schon deutsche Meisterin der nächsthöheren Gewichtsklasse war.
Insgesamt war die Gewichtsklasse mit acht Sportlerinnen voll besetzt. Wer gegen wen im K.O.-System antritt, wird gelost.
Charlotte Kienel, die in Köln wohnt und, zusätzlich zu Lauf- und Krafteinheiten zu Hause oder am Bundesstützpunkt, 3-5 Mal die Woche zu ihrem Verein in Brühl kommt, hatte in den letzten 10 Wochen trainingstechnisch noch einen drauf gesetzt und wöchentlich 8-12 Trainingseinheiten absolviert. Die Vorbereitung blieb verletzungsfrei und ohne Komplikationen. Und so war sie physisch und mental von ihrer Trainerin Lisa Puri vorbereitet worden. Diese reiste mit nach Bremerhaven um Charlotte in der Ringecke zu unterstützen.
Im Ring selbst jedoch, ist man alleine. Und so lag es nun an Charlotte, mit dem Druck der Favoritenrolle umzugehen und für jeweils drei Mal zwei Minuten (solange dauert ein Kampf in der Juniorenklasse) die sportlich beste Version ihrer Selbst zu sein und alles zu geben.
Im ersten Kampf stand Charlotte Marlene Kühn aus Sachsen gegenüber. Sie fand schnell ins Turnier und konnte ihr Können von Beginn der ersten Runde an abrufen. Technisch sauber und eindeutig überlegen punktete die Vochemerin Runde für Runde mit schnellen Geraden und ohne selbst Treffer einzustecken. Kühn hatte nicht den Hauch einer Chance. Der Auftakt ins Turnier ging mit 5:0 Richterstimmen an Charlotte.
Am folgenden Tag musste Charlotte gegen die bis dato ungeschlagene Monika Abazaj aus Bayern ran. Diese war sehr willensstark und machte, vor allem ab Runde zwei, viel Druck und marschierte mit vielen harten Schlägen nach Vorne. Charlotte bewies ihre boxarische Raffinesse, ließ die etwas kleinere Kontrahentin vermehrt ins Leere laufen und verpasste ihr dann klare Treffer an Kopf und Körper. Sie schlug sehr variabel, tauchte gekonnt ab und wich Schlägen der Gegnerin blitzschnell aus. Alles in allem ein hochklassiger und sehr sauberer Kampf, für den es Lob vom amtierenden Ringrichter, sowie dem Jugendwart und Bundestrainer gab. Am Ende des Gefechtes ging Charlottes Hand nach oben, alle Runden gingen an sie und sie sicherte sich den Einzug ins Finale.
Bei der Finalveranstaltung standen sich dann zwei Kadersportlerinnen des deutschen Boxverbandes gegenüber. Charlotte boxte gegen Joelle Heuer. Diese war einen halben Kopf größer und war schon im Viertel- und Halbfinale durch eine unsaubere Kampfführung aufgefallen. Immer wieder unterband sie das Kampfgeschehen, indem sie sich von oben auf ihre Gegnerinnen lehnte und ihre Arme einklemmte. Das tat sie ebenfalls bei Charlotte. Immer wieder hielt sie ihren Kopf weg, schubste regelrecht und beschwerte sich dann mit Gesten und Blicken beim Unparteiischen im Ring. Auf boxerische Herausforderungen hat man sich Monate und Jahrelang vorbereitet und muss im Ring „nur“ Gelerntes abrufen. Aber an so einem Punkt (wenn permanent unsauber und unsportlich gegen die Regeln agiert wird), zeigen sich die Nerven. Charlotte löste die Situation bestmöglich und versuchte nach ihren Angriffen schnell wieder ausserhalb der Reichweite der Hühnin zu gelangen. Nicht selten schaffte diese jedoch Charlottes Kopf zu schnappen und ihn runter zu drücken oder fest zu halten. Zwei Mal verwarnte der Ringrichter die Boxerin. Im Kampfverlauf traf Charlotte trotzdem immer wieder harte Schlaghände zum Körper der Rechtsauslegerin und schloss ihre Aktionen zum Kopf ab.
Dieses Finale war nicht schön, aber unumstritten im Urteil. Auch in diesem Kampf ließ Charlotte sich nicht eine einzige Runde abnehmen und darf sich erneut deutsche Meisterin in der Gewichtsklasse bis 60 kg nennen.
Erst vor zwei Wochen wurde Charlotte Kienel vom Stadtsportverband und dem Bürgermeister Dieter Freytag in Brühl mit der goldenen Ehrenplakette geehrt und diesem versprochen, im kommenden Jahr wieder erfolgreich zu sein. Dieses Versprechen hat sie eigentlich schon erfüllt. Trotzdem freut sie sich auf die sportlichen Herausforderungen in 2025. Die Europameisterschaft im Herbst, sowie Länderkämpfe im Jahresverlauf, sind realistische Ziele. Erst einmal müssen die Boxhandschuhe jedoch für einpaar Wochen in den Schrank wandern. Die zentralen Abschlussprüfungen stehen für die fast 16 Jährige bald an und Versprechen zwei ging an ihre Eltern: Schule hat Priorität und die nächsten Kämpfe werden nicht mit den Fäusten, sondern mit dem Füller gewonnen!